ArchivDeutsches Ärzteblatt23/201879. Ordentlicher Medizinischer Fakultätentag: Kontroverse über Studierendenzahl

POLITIK

79. Ordentlicher Medizinischer Fakultätentag: Kontroverse über Studierendenzahl

Dtsch Arztebl 2018; 115(23): A-1110 / B-935 / C-931

Richter-Kuhlmann, Eva

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Die Ausbildung von Medizinstudierenden stand im Fokus des diesjährigen Medizinischen Fakultätentages in Mainz. Insbesondere diskutierten die Hochschulmediziner über die Zahl der künftigen Studierenden sowie über ein neues Zulassungsverfahren zum Studium.

Foto: dpa
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Brauchen wir in Deutschland künftig mehr Ärztinnen und Ärzte als bisher, um die Versorgung der Bevölkerung zu sichern? Das war die Frage, die im Mittelpunkt des diesjährigen 79. Ordentlichen Medizinischen Fakultätentages (oMFT) in Mainz stand und die dort am 31. Mai und 1. Juni von den Dekanen der 38 Medizinischen Fakultäten, Medizinstudierenden sowie Vertretern von Ärzteschaft, Kassen und Politik sehr kontrovers diskutiert wurde.

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Beklagt wird seit einigen Jahren ein Mangel an ärztlichem Nachwuchs, besonders im hausärztlichen Bereich und in ländlichen Regionen. Es gab zwar auch Gegenmaßnahmen: Der Masterplan Medizinstudium 2020, der die Ausbildung der Studierenden im allgemeinmedizinischen Bereich fördern soll, ist seit einem Jahr beschlossen – zumindest auf dem Papier. „Wir warten aber immer noch auf die Umsetzung der Novelle des Medizinstudiums“, kritisierte Luca Salhöfer von der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd). „Die Finanzierung ist immer noch nicht geklärt.“

„Die Qualität der akademischen Ausbildung der künftigen Ärztinnen und Ärzte muss erhalten bleiben.“ Heyo K. Kroemer, MFT, Foto: MFT/Sablotny
„Die Qualität der akademischen Ausbildung der künftigen Ärztinnen und Ärzte muss erhalten bleiben.“ Heyo K. Kroemer, MFT, Foto: MFT/Sablotny

„Der Druck seitens der Politik nimmt zu, Lösungen für mehr Medizinstudienplätze und gegen den Landarztmangel anzubieten“, sagte der Präsident des Medizinischen Fakultätentages (MFT), Prof. Dr. rer. nat. Heyo K. Kroemer. Allerdings gehe es bei der derzeitigen politischen Diskussion hauptsächlich um Quantität, kritisierte er. In der Folge entstünden neue medizinische Studiengänge, Zweitcampi von etablierten medizinischen Fakultäten sowie verschiedene andere Kooperationen. Diese Tendenz sei differenziert zu betrachten: „Wichtig ist, dass dabei die Qualität der akademischen Ausbildung der künftigen Ärzte erhalten bleibt“, betonte Kroemer.

Die Forderung nach einer Erhöhung der Medizinstudienplätze war vor wenigen Wochen auch von der Ärzteschaft erneuert worden. Der 121. Deutsche Ärztetag in Erfurt sprach sich für eine Erhöhung um 6 000 Plätze aus. Dr. med. Günther Matheis, Präsident der Lan­des­ärz­te­kam­mer Rheinland-Pfalz, untermauerte dies beim oMFT in Mainz und forderte ein Plus von zehn bis 15 Prozent an Plätzen: „Das ist gerechtfertigt“, betonte er. „Aufgrund des demografischen Wandels und veränderter Arbeitsmodelle brauchen wir mehr Köpfe.“ Ähnliches berichtete Dr. med. Peter Heinz, Vorsitzender des Vorstands der Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-Pfalz, vom niedergelassenen Bereich. Er plädierte für mehr Anreize, sich in ländlichen Gebieten niederzulassen.

Anderer Ansicht ist Prof. Dr. med. Ferdinand Gerlach. Für den Vorsitzenden des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen sind weder Forderungen nach „mehr Geld“ noch nach „mehr Ärzten“ geeignete Lösungsansätze. „Vielmehr ist zunächst ein Abbau eklatanter Überversorgung im stationären und im ambulant-fachspezialistischen Bereich erforderlich“, sagte er in Mainz. Es gebe in Deutschland keinen medizinischen Fachkräftemangel, sondern lediglich eine Fehlverteilung. „90 Prozent aller Facharztanerkennungen erfolgen in einem der 77 spezialistischen Bereichen; nur zehn Prozent der jungen Ärztinnen und Ärzte erreichen einen Abschluss als Generalist“, kritisierte er.

Der Ratsvorsitzende rechnete vor: Die Gesamtzahl der berufstätigen Ärzte in Deutschland sei mit 385 000 (4,1 pro 1 000 Einwohner) eine der höchsten im internationalen Vergleich und steige zudem jährlich deutlich. Ursächlich für den gefühlten Ärztemangel sei ein „Hamsterrad“, in dem sich Ärzte und Patienten hierzulande befänden. Dies zeige die geringe Anzahl von Ärzten je 1 000 Belegungstage im Krankenhaus. „Das ist eine Folge zu hoher Fallzahlen“, analysierte Gerlach. Man müsse sich konsequent am medizinischen Bedarf orientieren und auf überflüssige Leistungen verzichten, forderte Gerlach. „Nur wenn wir die Strukturprobleme beseitigt haben, können wir entscheiden, ob wir tatsächlich mehr Ärzte ausbilden müssen.“

„Bezüglich der Auswahl der Studierenden wollten wir nicht zu viel festlegen, um die Rechtslage nicht zu versteinern.“ Ferdinand Kirchhof, BVerfG. Foto: MFT/Sablotny
„Bezüglich der Auswahl der Studierenden wollten wir nicht zu viel festlegen, um die Rechtslage nicht zu versteinern.“ Ferdinand Kirchhof, BVerfG. Foto: MFT/Sablotny

Auch die Bayerische Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, die ehemalige Lehrstuhlinhaberin für Gynäkologie an der Technischen Universität München, Prof. Dr. med. Marion Kiechle, sieht eine Fehlverteilung von Ärztinnen und Ärzten als ein ursächliches Problem an. „Die Allgemeinmedizin muss gestärkt werden“, sagte sie in Mainz. Bayern habe sich deshalb für eine Landarztquote entschieden. Zudem arbeitete die Kultusministerkonferenz (KMK) mit Hochdruck an den Eckpunkten für ein neues Zulassungsverfahren zum Medizinstudium, berichtete Kiechle. Entscheidungen dazu würden Mitte Juni getroffen. Erste Überlegungen aber liefen darauf hinaus, künftig auf die Wartezeitquote als einen Zugangsweg zum Medizinstudium zu verzichten. „Das valideste Kriterium ist immer noch die Abiturnote“, meinte die Ärztin. Sie korreliere am stärksten mit dem Studienerfolg – das sei auch ihre Erfahrung als Prüferin in medizinischen Staatsexamen gewesen.

Bis Ende 2019 müssen sich die Länder auf ein neues Zulassungsverfahren zum Medizinstudium geeinigt haben, nachdem das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Ende vergangenen Jahres die derzeitige Studienplatzvergabe für teilweise verfassungswidrig erklärt hatte. „Wir wollten mit unserem Urteil nicht zu viel festlegen, um die Rechtslage nicht zu versteinern“, erläuterte der Vizepräsident des BVerfG, Prof. Dr. jur. Ferdinand Kirchhof. Generell sei das Gericht jedoch der Auffassung, dass die Abiturnote mit einer guten Prognose für die Eignung verhaftet sei, sagte er in Mainz. Auch ein individuelles Auswahlwahlverfahren der Hochschule (AdH) sei zulässig – sofern es strukturiert sei und mindestens ein Eignungskriterium über die Abiturnote hinaus berücksichtige. „Ich bin sicher, dass bei der Ausgestaltung viele Wege offenbleiben“, sagte er.

Prof. Dr. med. Bernhard Marschall, Geschäftsführer des Instituts für Ausbildung und Studienangelegenheiten der Universität Münster, hat jedoch Bedenken: „Allein durch den derzeit avisierten Wegfall der Wartezeitquote wird sich das Spektrum der künftigen Studierenden sehr einengen“, sagte er. Besonders große Probleme prognostizierte er bezüglich des AdH-Verfahrens, das über die Serviceplattform der Stiftung Hochschulzulassung koordiniert wird. „Möglicherweise werden wir nach Dezember 2019 zunächst gar keine Auswahlverfahren an den Hochschulen durchführen können, da die Stiftung ihre Software nicht so schnell umstellen kann“, sagte er. Eine Aussicht, die Kroemer als „skandalös“ und Medizinstudent Salhöfer als „inakzeptabel“ bezeichnete. „Die fristgerechte Umsetzung der Vorgaben des BVerfG darf nicht an technischen Mängeln scheitern“, konstatierte Prof. Dr. med. Andrew Ullmann, Mitglied des Deutschen Bundestags (FDP). „Da ist die Bundesregierung gefragt. Handlungsbedarf ist dringend notwendig.“ Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann

Foto: StMWK
Foto: StMWK

3 Fragen an . . .

Prof. Dr. med. Marion Kiechle, Bayerische Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst

Was möchten Sie in Ihrem neuen Amt für die Universitätsmedizin bewirken?

 Die Universitätsmedizin wird mit zahlreichen Erwartungen konfrontiert. Sie soll möglichst viele Allgemeinmediziner für den ländlichen Bereich ausbilden. Gleichzeitig benötigen wir noch mehr hochmotivierte Forscherinnen und Forscher, die beispielsweise als Clinician Scientists unsere Medizin von morgen gestalten. Hier einen guten Kompromiss zu finden, ist mir ein wichtiges Anliegen.

 

Eine neue Fakultät entsteht in Augsburg, ein Zweitcampus in Bayreuth – gibt es genug Medizinstudienplätze?

 Wie viele Medizinstudienplätze wirklich nötig sind, ist eine hochkomplexe Frage, mit der sich nicht umsonst eine eigene Arbeitsgruppe der Gesundheits- und Kultusministerkonferenz beschäftigen wird. Unabhängig davon ist jedoch der Freistaat Bayern in Vorleistung getreten und hat die erhobene Forderung nach einer zehnprozentigen Steigerung bereits übererfüllt.

 

Sie sind jetzt auch Mitglied der Kultusministerkonferenz der Länder: Wie steht es um die Umsetzung des Masterplans Medizinstudium 2020? 

Wir alle warten gespannt auf den für Herbst avisierten Bericht zu den finanziellen und kapazitären Auswirkungen des Masterplans Medizinstudium 2020. Schon jetzt möchte ich aber betonen, dass die Umsetzung vieler Maßnahmen zur Verbesserung der Lehre eine weitere enorme finanzielle Herausforderung für die Universitätsmedizin darstellt. Deshalb hat die Kultusministerkonferenz immer betont, dass dies nur mit zusätzlichen Mitteln möglich sein wird. Hier ist auch der Bund gefordert.

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